Kirgistan

„Pink Summits“ in Kirgistan – Reisebericht

By 23. Oktober 2022 No Comments

Fast zwei Monate ist es nun schon her, dass wir aus Kirgistan zurück sind. Aber noch immer erinnere ich mich sehr gerne an diese Reise. Drei Wochen haben wir gemeinsam in Kirgistan verbracht. Und wir haben sie kennengelernt, die vielen Seiten dieses wenig bekannten Landes in Zentralasien. Wir sind in das bunte Leben von Bishkek eingetaucht, haben die atemberaubenden Berg- und Gletscherlandschaften erlebt, den konservativen Süden um Ossh bereist und haben das traditionelle Leben der Menschen im Pamir kennengelernt.

Alles begann mit unserer Idee abseits der Alpenregionen etwas erleben zu wollen. Bei der Auswahl von möglichen Reisezielen fiel unser Fokus schnell auf Kirgistan, das Heimatland von Dastan. Erst hatten wir einige Zweifel, ob wir genug Mitreisende finden würden. Denn nur wenigen ist bekannt, dass Kirgistan ein wundervolles Reiseland ist. Die vielfältigen Landschaften z.B. um den Yssykköl, den größten See Kirgistans, oder die Berge des Pamir und des Tien Shan-Gebirges wären schon für sich mehrere Reisen in dieses Land wert. Daneben lässt sich aber auch noch das traditionelle Leben der Kirgisen in den Bergen erleben, was eine Reise hierher einzigartig macht. Wir wählten daher Kirgistan als Ziel unserer Reise und wollten dort den Pik Leipzig (5.725 Meter) im Pamirgebirge besteigen.

Unsere Reise begann Mitte Juli in Bishkek: Hauptstadt, Millionenmetropole und kulturelles Zentrum Kirgistans. Das Leben hier ist – für zentralasiatische Verhältnisse – bunt und fortschrittlich. Die Lebendigkeit der Stadt spürt man an jeder Ecke: Hippe Cafés, Restaurants, Shops und viele junge Menschen prägen das Bild der Stadt. Schnell fühlen wir uns in der pulsierenden Stadt wohl. Aber für uns ging es schon am nächsten Tag weiter nach Osch. Dort sollten wir auf die anderen Mitreisenden treffen und unsere Reise gemeinsam fortsetzen. An dieser Stelle könnte man jeden einzelnen der Gruppe vorstellen und Geschichten erzählen. Aber wir können es kurz machen: Unsere Gruppe hat wunderbar zusammen harmoniert und es hat richtig Spaß gemacht zusammen durch Kirgistan zu reisen. In Osch trafen wir also das erste Mal alle gemeinsam.

Osch, zweitgrößte Stadt des Landes, dreitausendjährige Geschichte und tief im Süden Kirgistans gelegen. Der Kontrast zum moderneren Bishkek ist uns schnell aufgefallen. Osch ist eine lebendige Stadt. Aber diese Stadt gibt sich gleichfalls traditionell, religiös – konservativ. Das wurde uns richtig bewusst, als wir uns einen Abend mit einer schwulen Gruppe dort getroffen haben. Dastan hatte das Treffen für uns organisiert. Wir trafen uns in einem kleinen Restaurant, etwas außerhalb der Stadt, in einem separaten Raum. Die Fenster des Raumes wurden verschlossen, Türen verriegelt. Die Männer die wir trafen, sie sind zwischen vierzig und fast siebzig Jahren alt. Die junge Leute trauten sich hier nicht, erzählten sie uns. Sie selbst haben bewegte Geschichten. Alle sind verheiratet. Verheiratet mit Frauen, wie könnte es hier anderes sein. Uns wurde schnell bewusst, diese Männer führen ein Doppelleben – weil die Gesellschaft ihre wahre Identität nicht akzeptiert. Ihre Homosexualität leben sie nun im Verborgenen. Mit ihren Frauen haben sie Kinder; zwei, drei oder gar vier. Das Gespräch bewegte uns, machte uns nachdenklich. Uns wurde bewusster als jemals zuvor, was es heißt nicht sein zu dürfen, wer man ist. Erschreckend aber im selben Moment, der Gedanke an das unausgesprochene Leid der Frauen und Kinder, deren Familienleben auf einer tragischen Lüge basiert. Wir beendeten diesen Tag mit vielen Gefühlen und in Dankbarkeit darüber, in einer weitgehend offenen Gesellschaft zu leben.

Zunächst mussten wir nun noch unsere Einkäufe erledigen, bevor es in die Berge ging. Zwei Wochen planten wir in den Bergen unterwegs zu sein; ohne Möglichkeit etwas einzukaufen. Das lebendige Zentrum von Osch ist der Jayma-Basar. Dort kauften wir kistenweise Lebensmittel und Kleinzeugs. Die Sorge darum, nicht genug oder viel zu viel eingekauft zu haben verfolgte uns noch eine ganze Weile: Zu viel wäre umständlich, aber zu wenig wäre eine Katastrophe gewesen. Später stellte sich heraus, dass wir alles richtig gemacht hatten. Nach dem Shopping-Tag ging es nun auf in Richtung Berge.

Die Fahrt von Osch ins Alai-Tal war ein Erlebnis für sich. Die Siedlungen am Rande der Straße wurden immer kleiner und die Berge höher und höher. Mit jedem gefahrenen Kilometer prägten mehr und mehr Jurten das Bild der Landschaft. Kurzen Halt machten wir zum Mittagessen in Gültschö. Wir bekamen ein typisch kirgisisches Mittagessen – Ayran, Fladenbrot, Lagman und Tee. Anschließend gab es noch eine kurze Führung durch das kleine Bauernhaus und eine Jurte im Garten. Danach ging es weiter, denn es lag noch der 3.600 Meter hohe Taldyk-Pass vor uns. Die steilen Straßen über die hohen Pässe war für alle Autos hier eine Bewährungsprobe. Zunächst lachten wir noch über andere Autos, die am Wegesrand schlapp gemacht hatten. Schnell verging uns allerdings das Lachen, als auch unser Bus schlapp machte. Dank Limo und Cola als Kühlwasser kamen wir aber noch mit den letzten Sonnenstrahlen in Achyk-Suu an.

Auf 3.500 Metern Höhe stiegen wir aus unserem Bus. Die eigentliche Siedlung Achyk-Suu liegt etwas tiefer. Während der kalten Winter leben die Einheimischen dort in ihren Häusern. In den Sommermonaten sind sie dagegen hier oben in den Bergen, leben in Jurten und hüten riesige Viehwirtschaften. Die Schönheit und Einzigartigkeit dieses Ortes ist unbeschreiblich. Die abendlichen Sonnenstrahlen beleuchteten die umliegenden Bergkämme in den schönsten Farben. Die weißen Gletscher flossen bis hinunter auf die saftig grünen Wiesen. Aus den Jurten stieg wie in Zeitlupe der Rauch der Öfen. Kinder spielten auf den Wiesen, Erwachsene schauten zu und das Vieh zog im Hintergrund vorbei. Viel Zeit blieb nicht um diesen Augenblick zu genießen. Es war spät und wir mussten unsere Zelte aufbauen. Und als das letzte Zelt stand, war es bereits dunkel.

Die nächsten Tage hatten wir mit der Akklimatisierung an die Höhe verbracht. Es war also ausruhen angesagt, Umgebung erkunden, essen und schlafen. Es ist wundervoll sich einfach mal durch den Tag treiben zu lassen: Keine Pflichten, keine Nachrichten, kein Internet, keine Arbeit. Natürlich hatten wir auch Kontakt zu den Menschen hier gesucht. Wir durften den Familien beim Zubereiten der Fladenbrote über dem Feuer zuschauen und wurden zum Essen in die Jurten eingeladen. Wir durften Esel reiten, Kühe melken und den Frauen beim Weben der Teppiche zuschauen.

Nach wenigen Nächten ging es für uns dann weiter und höher. Den Großteil unseres Gepäcks hatten wir auf Pferde und Esel verladen. Die Einheimischen freuten sich über das schnell verdiente Geld. Aber das Verhandeln war zäh und schwierig. Unser nächstes Lager lag auf 4000 Meter Höhe. Es war tiefer im Tal, umgeben von hohen Bergflanken. Eis- und Felsabbrüche ließen in regelmäßigen Abständen ein tiefes Grollen durch das Tal hallen. Trotz der großen Höhe fühlten sich fast alle von uns noch fit. Wir erkundeten die Gletscher um das Lager und folgten dem Weg zum Pik Leipzig um den Weiterweg im Dunkeln wiederzufinden.

Nach wenigen Tagen im zweiten Lager machten wir uns dann also an den Aufstieg zum einzigen Hochlager. Es sollte der schwierigste Teil der Bergtour sein. Der Hauptteil des Weges führte über eine steile, vereiste und steinschlaggefährdete Flanke bis zum Gletscher auf ca. 5.300 Meter Höhe. Wir starteten früh im Schein der Stirnlampen. Zunächst noch flach wurde der Weg später immer steiler. Das Laufen im Steinschutt war kraftraubend. Als wir das Eis der Flanke erreichten versuchten wir dorthin zu wechseln. Das Gehen mit Steigeisen erschien uns einfacher. Aber das Gelände wurde so steil und unsicher, dass wir den Plan schnell verworfen hatten. Wir kämpften uns also die meiste Zeit durch steiles Schuttgelände. Das Gepäck erschwerte jeden Schritt in diesem Gelände. Ein Schritt nach oben, zwei Schritte zurück. Schnell wurde uns klar, dass der einzig vernünftige Weg für die knapp 1000 Höhenmeter nur durch Firn oder Schnee führen könnte. Aber davon gab es diesmal nichts. Nur steiles blankes Eis. Und Steinschlag. Wir kehrten erschöpft um. Aus und vorbei der Traum vom Gipfel. Passend zur Stimmung kippte das Wetter. Und das war überraschend für uns alle. Es begann zu regnen, gewittern und sogar Schnee gab. Wie es uns bei diesen Bedingungen im Hochlager ergehen würde, konnten wir nur ahnen. Aber der Wetterumschwung sorgte zumindest dafür, dass wir froh und glücklich waren, nun im Lager hier unten zu sitzen und nicht im Hochlager auf dem Gletscher.

Nach zwei Tagen im Lager, an denen wir die letzten Vorräte verkochten, ging es zurück zu den Jurten und dort wurden wir wieder mit dem Bus abgeholt. Für uns ging zurück nach Osch. Wir erlebten dort noch ein paar wundervolle Tage gemeinsam, besuchten den Basar, haben den Sulaiman Too (heiliger Berg) bestiegen und sind nach Ösgön gefahren um historische Überreste aus Zeiten der alten Seidenstraße anzuschauen. Es war ein wundervoller Ausklang der Reise, die wir zusammen mit Freunden begonnen und mit Freunden beendet haben.

Fotogalerie

Leave a Reply