Tag 16. Akklimatisierungstour zum Cholera-Camp
Wir verbrachten einen halben Tag damit, mit anderen Gruppen über Risiken und Pläne zu sprechen. Wir packten schon sogar unsere Ausrüstung für das höchste Lager. Viele im Lager von Nido de Condores beobachteten, wie die Kanadier versuchten zu überqueren: Ein paar Punkte, kaum sichtbar, bewegten sich sehr langsam im Schnee direkt vor der sogenannten La Canaleta, wo es eine Felswand bekannt als „La Cueva“ beginnt. Werden sie es schaffen, diesen entscheidenden Teil zu überqueeren, ohne von einer Lawine erfasst zu werden? Können wir morgen ihren Spuren folgen?
In letzter Minute beschloss Chris, mit leichtem Gepäck nur eine Akklimatisierungsreise in die Lager Berlin und Cholera zu unternehmen, die auf rund 6.000 Metern über dem Meeresspiegel liegen. Als ich ihn fragte, warum wir leicht hochgehen, er antwortete: „Meine Intuition sagt mir so“. Wie sich später herausstellte, ließ uns seine Intuition nicht im Stich.
Der Aufstieg war schwierig, auch ohne das ganze Gepäck. Ich schnappte oft nach Luft, und entgegen der Empfehlung des Arztes, ständig eine Buff zu tragen, um Hals und Luftröhre vor eisiger und trockener Luft zu schützen, nahm ich sie einfach ab, weil ich nicht genug atmen konnte.
Ein Teil unserer Gruppe, bis auf einen Teilnehmer, stieg bereits auf und wir trafen sie direkt vor dem Cholera-Camp. Es waren mehrere andere Gruppen mit der ganzen Ausrüstung aufgestiegen – anscheinend werden sie morgen oder übermorgen versuchen, den Gipfel zu erreichen. Dies ist die letzte theoretische Chance, bevor ein echter Hurrikan mit starken 80-100 km/h Winden kommt.
Im Cholera-Camp trafen wir auch auf die berühmten kanadischen Bergsteiger: Sie machten eine knietiefe Querung im Schnee zur sogenannten La Conoleta. Sie erkannten, dass es wegen der enormen Schneemengen und der Lawinengefahr gefährlich war, weiter zu gehen. Es war ihr letzter Expeditionstag: Sie nutzten ihre letzte Chance, trotz der schwierigen Bedingungen den Gipfel zu erklimmen.
Ganz oben war die Aussicht unglaublich – es schien mir, als wäre ich nicht auf dem Aconcagua, sondern irgendwo in den hohen Bergen des Tien Shan in Zentralasien. Ringsum lag so viel strahlender Schnee! Aus irgendeinem Grund war mir nicht klar, was schon für eine Leistung war es persönlich für mich – 6000 Meter über dem Meeresspiegel – so hoch war ich noch nicht. Chris erinnerte mich daran, dass wir jetzt höher sind als Mont Blanc, Elbrus und Kilimandscharo.
Wir wanderten zurück zum Lager Nido de Condores, wahrscheinlich etwas mehr als eine halbe Stunde. Überraschenderweise gingen viele mit großen Rucksäcken hoch und hofften auf das letzte schließende Fenster vor dem Schneesturm. Was machen wir denn morgen?
Tag 17. Gehen oder nicht gehen? Das ist hier die Frage.
Ein Teil der Gruppe beschloss, für immer nach unten zu gehen, ohne zu versuchen, ganz nach oben zu schaffen. Nur zwei äußerten den Wunsch, es im nächsten Wetterfenster noch einmal zu versuchen – kurz vor dem Ende unserer Expedition. Chris und ich standen vor einem Dilemma: Bis zum nächsten Wetterfenster hier oben zu warten oder runter ins Basislager mit anderen zu gehen?
Mehrere Tage am Nido de Condores zu warten bedeutet, sich noch besser zu akklimatisieren, besser zu verstehen, was am Berg passiert, aber es gibt auch viele Nachteile: den größten Teil des Tages in einem kleinen Zelt zu verbringen, unter der Extremkälte zu leiden, alles selbst zu kochen, Wasser zu holen, das Zelt vom Schnee säubern usw. Unten im Basislager könnten wir sogar das Internet nutzen und hätten somit die neuste Wettervorhersage, wir hätten uns dreimal am Tag Essen kochen lassen, könnten wir Bier oder Kaffee in einer Café-Bar genießen und sogar duschen! Einziger großer Nachteil ist, dass wir in kürzester Zeit wieder zum Camp Nido de Condores aufsteigen müssen. Dieser Aufstieg war schon so hart für uns!
Wir sammelten alle Zelte ein, ließen etwas Ausrüstung in Nido de Condores und zogen nach unten. Chris und ich waren die letzten, als wir mit anderen Gruppen Pläne und Wetterbedingungen besprachen. Wir haben gesehen, wie viele trotz der erfolglosen Versuche der Kanadier immer noch mit ihrer Ausrüstung nach oben gingen. Heute hat auch ein professioneller Bergführer aus Argentinien versucht, den Gipfel zu erklimmen, aber er musste auch umkehren. Bis ganz oben hat er es nicht geschafft.
Uns blieb nur eine Möglichkeit: auf das nächste Wetterfenster zu warten. Wir entschieden uns, zum Basislager zurückzukehren. Auf dem Weg nach unten bauten wir das Zelt im Kanada-Camp ab und brachten etwas von dem Essen mit runter. Leider habe ich unsere Kotbeutel irgendwo verloren. Ohne diese Plastiktüten müssen wir eine Strafe zahlen. Ich weiß nicht genau, wo es passiert ist: im Camp Canada selbst (Chris sah eine Art schwarze Plastiktüte) oder irgendwo runter, wo ich meinen Rucksack umgebaut hatte, um das Essen der Gruppe besser tragen zu können. Oder sie sind einfach irgendwo vor dem Camp Canada weggefallen, weil sie wahrscheinlich am meinen Rücksack schlecht befestigt waren. Unten im Basislager haben uns die Parkranger strikt befohlen, diese Kotbeutel zu finden, sonst gibt es eine Strafe von 100-200 Dollar für jeden verlorenen Beutel. Morgen muss ich wieder hoch und nach diesem unseligen Scheißpaket suchen. Wir können dann auch die restliche Gruppenausrüstung von Camp Canada runterbringen, die nicht mehr benötigt wird.
Diesmal waren wir nicht in den Achtbettzelten, sondern in Zweibettzelten untergebracht. Auch auf ein gemeinsames Gruppenzelt wurde diesmal verzichtet. Für Abendessen, Mittagessen und Frühstück müssen wir jetzt bezahlen: Es stellte sich heraus, dass nur eine bestimmte Anzahl von Tagen für unsere Gruppe gebucht war. Das Frühstück kostet hier zum Beispiel 50 Dollar pro Person. Wir waren etwas schockiert über die Preise, aber was können wir tun? Nach dem Duschen (es war leider eher kalt als warm) saßen wir dann den ganzen Abend in einer Café-Bar bei Kaffee, Bier und Spielkarten (am Ende der Expedition hatten wir es genug, UNO zu spielenn :). Das Bar-Café war voller Menschen. Ein großes Team feierte den letzten Tag der Expedition mit Champagner und jeder Menge Alkohol. Es war wunderbar zu sehen, wie die Menschen nicht den Gipfel selbst feierten, sondern die ganze Reise und die Abenteuer derentlang. Denn Hauptsache ist nicht das Ziel, sondern der Weg dorthin, wie Chris immer sagt.
Obwohl er dieses Mal so auf den Gipfel fokussiert war. Ich war dagegen schon mit allem, was ich gesehen und erlebt habe, zufrieden. Auch ohne ganz nach oben zu klettern, war ich überglücklich und dankbar für diese neue Erfahrung. Ich war auch bereit, notfalls hinunterzugehen. Aber für Chris was es nicht genug. Hoffentlich schaffen wir es am Ende der Woche noch ganz nach oben. Möge uns viel Glück und vor allem gutes Wetter begleiten!
P.S. Wir gingen ziemlich spät ins Bett. Aus irgendeinem Grund verstärkte sich mein Husten und ich konnte lange nicht einschlafen. Ich schreibe diese Zeilen um ein Uhr morgens. Habe ich mich wieder erkältet? Morgen muss ich unbedingt zum Arzt